Rezension - Das letzte Casting - Patrick Worsch

10.04.2015 12:52

Rezension - Das letzte Casting - Patrick Worsch

Kurzbeschreibung

Jeannine will berühmt werden. Gabriel will unbekannt bleiben. Er verlangt von ihr den virtuellen Suizid. Doch der Facebook-Wettbewerb Lady Like ist ihre letzte Chance auf Ruhm. Binnen einer Woche gilt es, die meisten Likes zu sammeln. Tausende Frauen posten und blenden für den Sieg, leider auch Intimfeindin Carmen. Es beginnt ein Krieg um Anerkennung, und die Waffen heißen Selbstlob, Neid und Egoismus. Keiner weiß, ob Champagner oder Blut sprudeln wird.

Erscheinungsdatum: 25. Dezember 2014

Seitenzahl der Print-Ausgabe: 369 Seiten

Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.

Lieben Dank an den Autor für die Zusendung eines Rezensionsexemplars im mobi.Format.

Angaben zum Autor (gemäß Amazon)

Patrick Worsch wurde 1987 im wunderschönen ... Stopp! Ich bin keiner, der über sich selbst in der dritten Person schreibt. Das mache ich erst, wenn Professorin B. noch eine Stellungnahme meiner Eltern fordert. Geboren: in Wien. Gewachsen: im Sommer. Geschrieben: seit der zweiten Hausaufgabe. Der Rest ist unwichtig. Nicht meine Person zählt, sondern meine Texte. "Das letzte Casting" ist mein erster Roman. Er handelt nicht von Vampiren, nicht von Orks und nicht von Zombies. Niemand ermittelt, keiner hat smaragdene Augen mit einem Bernsteinschimmer. Dafür kriegen alle weniger Anerkennung, als sie brauchen. Es geht um Ruhmsucht, Neid und junge Menschen, die für Lob und Likes die Liebe und ihr Leben opfern würden. Oder doch nicht?

weitere Informationen zum Autor per Kontakt: [email protected]

Rezension – Verknipse nicht den Moment, um Aufmerksamkeit zu erhaschen, sondern lebe ihn

Mit ‚Das letzte Casting‘ hat Patrick Worsch einen Thriller der etwas anderen Art geschaffen. Daher wird auch diese Rezension etwas anders. Ich werde weniger auf den Inhalt an sich eingehen – heißt keine eigene kurze Zusammenfassung diesen wiedergeben – das macht die Kurzbeschreibung zum Buch selbst schon sehr gut. Ich werde auf das eingehen, was ich von dem Buch mitgenommen habe.

  • Also warum ist es anders?

Es bedient nicht die üblichen Klischees von Spannung und Entführung oder dem klassischen Mord, dessen Täter man schnell erahnt. In diesem Roman ist der Täter immer die eigene Person selbst. Die Person, die sich in der heutigen Zeit vom Fremdbild bestimmen lässt und darüber hinaus die eigene Persönlichkeit für ein bisschen Anerkennung in der „Öffentlichkeit“ verwässern lässt. Man könnte sagen, die Anerkennung durch andere, seien sie real „greifbar“ oder nur virtuell „sichtbar“, blendet zu oft das eigene Leben aus. So passiert es auch mit den Hauptcharakteren in diesem Thriller. Ein Beispiel ist die junge Jeannine, die durch ihren Vater – ob sie selbst möchte oder nicht – zur Violinen-Virtuosin mit Welterfolg erzogen werden soll. Ein Vater, der seinen eigenen Traum nicht erfüllen konnte und ihn nun seiner Tochter von Kindesbeinen an aufdrängt, um ihn zu leben. Es zählen nur Anerkennung, Erfolg und Ruhm, keine zwischenmenschlichen Gefühle. Und hier noch ganz ohne Internet und die ‚virtuellen‘ sozialen Medien, hier noch mit den „greifbaren“.

„Er schrie Ausdrücke, die nicht im Duden stehen.“

Dennoch, es kommt wie es kommen muss, es geht schief. Das Kind wird früh mit Verachtung und Ignoranz bestraft. Kein Wunder, dass es später nach genau dem sucht, das es früh gelernt hat. Willst du was gelten, brauchst du Anerkennung. Nur dann fühlst du dich gut. Ein klassischer Erziehungsfehler, der in der heutigen Zeit durch die virtuelle Welt ins Unermessliche und Unvorstellbare getrieben wird. Diese rennt der Realität den Lauf ab, es wird nur noch geknipst und gepostet anstatt hinzuschauen und ‚echt‘ zu empfinden. Die Selbstdarstellung regiert, ohne dass diese zugegeben wird und der Wunsch nach dem ‚Unvergessenbleiben‘ stellt das eigene Leben in den Hintergrund. Beziehungen scheitern, Freundschaften gehen in die Brüche, falsche wiederum entstehen und alles wird gläsern. Wohlgemerkt auch nur das, was man gläsern macht, um die nötigen Likes zu bekommen. Sei es positiv oder negativ. Es wird nichts vergessen, im Netz schon gar nicht.

„Alle kranken Seelen leiden an gutem Gedächtnis. […] Vergangenheit wie die Sterne. Ich sehe sie, aber ich kann sie nicht mehr in die Gegenwart zerren.“

Genau das ist der Grund, jener diese Geschichte so fesselnd macht. Trotz der Verdrastisierung und der nötigen Überspitztheit wirkt es echt, greifbar, reell. Es packt und trifft einen buchstäblich in dem Punkt, den keiner gerne zugibt, aber der dennoch da ist: Der Wunsch nach eben dieser Anerkennung. Es ist ein Thriller, der nachdenklich stimmt und durch seine plastischen Charaktere und deren nachvollziehbaren, wenn auch nicht unterstützbaren, Handlungen Parallelen zur eigenen Welt zieht. Was in diesem Roman passiert und ich verrate bewusst inhaltlich nicht viel, ist uns in unserer heutigen Zeit alles andere als fremd.

Es werden Probleme und Auseinandersetzungen der heutigen multi-medialen Gesellschaft aufgezeigt und mit einer Geschichte verwoben, die uns zur Vorsicht mahnen soll. Ein gesundes Mittelmaß zu finden gilt es. In der heutigen Zeit würde vieles nicht mehr ohne diese virtuelle Vernetzung funktionieren, das ist so. Sich dem gegenüber zu verschließen führt auch nicht zum Glück und dem Leben, das wir heutzutage anstreben. Dessen muss man sich bewusst sein. Ich selbst arbeite viel mit sozialen Netzwerken, allen voran Facebook und Twitter. Ich bin seit der Startstunde dabei, aber vielleicht genieße ich auch gerade deshalb die Vorsicht und den sensiblen Umgang, dem das Thema bedarf. Ich schrieb meine Bachelorarbeit darüber und prüfe regelmäßig alle Änderungen und die Inhalte, die ich von mir gläsern machen lasse, bewusst, ABER ich verliere daran auch nicht meine Freude und Lebenslust. Was die Vorsicht mit den Daten angeht, bezweifle ich, dass dies der Großteil der anderen Nutzer wirklich tut. Und da schnappt dann die Falle zu.

„Das wichtigste im Leben ist die Privatsphäre.“

Wer Nutzen und Risiko – so ist es – nicht klar abwiegt, der wird aufgesogen und kann verschluckt werden. Schnell wird durch eigene Unachtsamkeit, falsche (Selbst-) Erziehung und auch durch möglichen Neid anderer das eigene Leben verblendet, verzerrt, verrückt. Talent ist in diesen Zeiten schnell gefunden, denn jeder spricht es sich zu und versucht ohne Rücksicht Erfolg zu haben. Dabei auch ohne Rücksicht auf das eigene Leben.

„Alle großen Leistungen wurzeln in Wunden und Komplexen.“

  • Was tust du, wenn der eigene Geltungsdrang in deinem Leben überhandgenommen hat?

Genau diesen Gedankenkampf um ‚zeigen und nicht zeigen / leben und nicht leben, bzw. leben lassen‘, drückt dieser Thriller für mich aus. Er polarisiert, teilt in Lager, favorisiert natürlich eines, auch wenn ich dem anderen angehöre. Ich befürworte die sozialen Netzwerke, aber nur mit der gewissen Weitsicht, Vorsicht walten zu lassen und sich nicht vollends davon bestimmen zu lassen. Sämtliche Charaktere in diesem Buch kommen an genau diesen Punkt, die Großzahl übergeht ihn blind. Einige wenige realisieren ihn.

  • Ob sie die Kurve kriegen oder mehr als ein Leben, wie ein Stück Glas zerbricht?

Dafür müsst ihr dieses Buch selbst lesen. Ihr werdet es verschlingen, denn es fesselt, keine Frage. Es lohnt sich, denn es überrascht beim Lesen immer wieder. Stellt hart den Preis dar, den einige zu zahlen bereit sind für etwas mehr Ruhm. Dabei sind die Preise so unterschiedlich, wie wir Menschen selbst. Für einen sind es Familie, Freunde, für andere Geld, aber allen gemein ist Leben und die Chance auf wahres Glück, das sie vertun, wenn die falschen Freunde über das ‚gläserne Ich‘ das Ruder gewinnen.

‚Das letzte Casting‘ ist ein sehr gelungener Thriller, der mich, als typischer Nicht-Thriller-Leser gepackt, nachdenklich gestimmt und überzeugt hat. Auch die Sprachgestaltung steht dem inhaltlich wertvollen und stark vermittelten Thema in nichts nach. Diese wechselt den Charakteren angemessen zwischen dem üblichen Jugendton der Zeit, der sich parallel entwickelnden Ausdrucksweise der sozialen Medien sowie einer anspruchsvolleren Sprache mit psychologischem Tiefgang an den entscheidenden Stellen. Am Anfang mag es etwas verwirrend erscheinen, aber der Klang wird einem im Fortgang der Geschichte schnell klar. Da der Autor aus Österreich stammt, musste ich das ein oder andere Wort nachlesen. Dies hat es für mich aber umso interessanter gestaltet, diesen Lesegenuss auch wahrlich zu genießen. Denn man lernt nie aus. Und in diesem Buch lernt man. Viel über die Gesellschaft, vor allem aber viel über sich selbst. Der Spannungsbogen der Geschichte selbst ist gekonnt von Überraschungen und Wendungen durchzogen, sodass man das Ende nicht erahnt. Zumindest nicht in Wucht und Masse, in der es einschlägt. Im Epilog findet sich noch ein weiteres Ende, dass Hoffnung gibt, aber auch verdeutlicht, dass es nicht allein die sozialen Netzwerke sind, die zerstören können. Es sind auch nicht nur die jungen Generationen, wenn auch vorwiegend, davon betroffen. Man denke beim Lesen an eine gewisse Mutter Köninger. Ebenfalls bedenke man meine Erwähnung zur Virtuosin zu Beginn. Es ist ein Zusammenspiel, aber letzten Endes verantwortlich für das eigene Leben, bleibt der Mensch stets selbst. Lest dieses Buch. Es ist empfehlenswert. Es sensibilisiert euch. Lasst Euch aber von der Härte nicht abschrecken, sondern lernt daraus, das eigene Leben zu leben und zu genießen. Sich nicht von anderen verwässern zu lassen, für eine Anerkennung, die nicht echt ist. Erkennt euch selbst an und schaut wieder öfter hin, anstatt nur für den nächsten Like zu knipsen.

 

-- Eure Jil Aimée