Rezension - Die Luft da oben - Pauline Keller

03.02.2016 17:34

Kurzbeschreibung

War es früher anders? Gab es eine Zeit, in der Lena dazugehörte? Eine Zeit, in der sie normal war, nicht auffiel? Eine Zeit, in der sie „hineinpasste"? Lenas Geschichte packt: mit Eltern, die drücken, drängen und mit "den anderen" vergleichen. Packt mit Verena, der besten Freundin -. die keine Freundin ist, mit dem Schwager Manfred, einem Mister Oberwichtig, Pascha und spackig bis dorthinaus. Mit Christian, Lenas Freund, der für sie da ist, was auch passiert. Doch vor allem packt Lenas Größe, 1 Meter und 82 Zentimeter, die sich zwischen sie und andere Menschen zwängen. 1 Meter und 82 Zentimeter, die sie immer wieder aufs Neue verletzen. Aufrichtig und mit schwarzem Humor erzählt "Die Luft da oben" von einer Außenseiterin. Es gelingt der Autorin, einen unsichtbaren Gegner sichtbar werden zu lassen - den mächtigsten Gegner, den ein junger Mensch haben kann: sich selbst.

„Lena, wie ist die Luft da oben?“ – Lena ist die lange Latte. Verfluchte 1 Meter und 82 Zentimeter groß. Was hat sie deshalb nicht schon alles abgekriegt! – Vor allem von sich selbst. Ihre Geschichte zeigt, was subjektive Realität, was verzerrte Wahrnehmung bedeutet. Zuletzt jedoch spielt ein Klassentreffen eine entscheidende Rolle. Und das, obwohl Lena sich am liebsten davor gedrückt hätte…

Erscheinungsdatum: 22. April 2015

Seitenzahl der Printausgabe: 244

Verlag: Books on Demand

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  Danke an den BoD-Verlag für mein Rezensionsexemplar.

Angaben zum Autor

Pauline Keller lebt mit Mann und Hund in Mainfranken.

Rezension – Selbsthass vergeht und Selbstbewusstsein entsteht

Sowohl der Titel als auch das schlichte blaue Cover mit der bildhübschen Giraffe sind ungewöhnlich und ecken an. Auf eine positive Art. ‚Die Luft da oben‘ weckte zunächst die unterschiedlichsten Ideen und Reaktionen in mir. Von einer Piloten- oder Heißluftballonfahrergeschichte, über eine Familie im Himalaya lebend, bis hin zu dem Gedanken an die Herausforderungen des privaten Lebens der Upperclass oder eines Aktienfondsmanagers. All das hätte das Buch für mich auf den ersten Eindruck hin bedeuten können. Äußeres sagt aber nicht zwingend etwas über das Innere aus. Manchmal trügt der Schein und es kommt besser: Wie der Klappentext bereits andeutet, wird hier ein sehr ernstes Thema auf eine lockere und dafür nicht minder ergreifende Weise ergründet: ein groß gewachsenes Mädchen, dass nicht nur unter dem Spott der Gesellschaft und ihrer nahen Mitmenschen leidet, sondern auch unter ihrer eigenen verzerrten Selbstwahrnehmung und dem sich selbst dadurch auferlegten Druck. Lenas mangelndes Selbstvertrauen, entstanden durch die ‚Gängelung‘ ihrer Familie und sog. ‚besten‘ Freundin sowie allgemeinen, gesellschaftlichen Schönheitsidealen, begleitet uns durch ihre gesamte Geschichte. Es ist eine Geschichte um den Kampf gegen den Selbsthass, das Selbstmitleid und die sich schützend auferlegte Selbstironie, die sie einfach nicht loslassen kann. Seit Jahren. Denn wenn man selbst schon über sich lacht und sich straft, kann es von anderen ja nicht mehr so wehtun, nicht wahr? Ein großer Irrtum, dem Lena Schritt für Schritt immer wieder unterliegt. Doch sie gibt nicht auf und an einem Weihnachtsabend, der einem alles verändernden Klassentreffen vorausgeht, deutet sich für sie der Wendepunkt an: Lena hat genug. Genug davon, allen anderen nicht gut genug zu sein trotz klasse Studienabschluss. Genug davon, für andere stets eine Enttäuschung zu sein. Vor allem aber genug davon, sich selbst nicht auszureichen. Der erste Schritt in die richtige Richtung ist getan: Selbsterkenntnis. Es liegt noch ein weiter Weg vor Lena, doch mit Hilfe ihres stets zu ihr haltenden Freundes – denn alleine ist sie nicht – und ganz viel Mut kann sie es schaffen. Entgegen sonstiger Erwartungen aus ihrem sozialen Umfeld.

„Dann mache auch ich mich vom Acker. Ich spurte die weihnachtlichen Straßen hinab, […]und lausche angestrengt dem Lärm, der in der Fußgängerzone herrscht.“ (Random Quote / Seite 136).

Es ist ein heikles Thema, das heutzutage in der schnellen Welt der Medien und uns vorgelebten Idealen umso präsenter ist. Lena ist ein Spott- und Mobbingopfer. Zumindest sieht sie sich selbst so. Macht sich zum Teil selbst zu einem und denkt selbst über ihre Mitmenschen, dass diese sie gar nicht anders sehen könnten. Bestätigt wird sie dadurch stets durch das ‚Sich-Unterbuttern-lassen‘ durch ihre sog. ‚beste Freundin‘. Zunächst voller Selbstzweifel und mit einem praktisch kaum vorhandenen Selbstwertgefühl. Sie muss erst noch lernen, was es heißt, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren und wie wichtig es ist, ihr Selbstvertrauen neu zu erlernen. Sie selbst erfasst innerhalb des Buches Folgendes: to toughen up and to look beyond.

„Das wird ja immer besser. Ich bin glücklich und du findest das schade? Vielen Dank.“ (Random Quote / Seite 219).

Manchmal muss man über seinen eigenen Schatten springen und sich Dinge trauen, die zunächst unvorstellbar erscheinen.

„Wenn man die Vergangenheit doch so einfach aussortieren könnte!" (Random Quote / Seite 106).

Man muss die Augen öffnen, um über den eigenen Tellerrand und den der anderen blicken zu können. Und am Ende wird man sich selbst finden! In so vielen Dingen, Begegnungen, und auch Menschen. Jeder ist anders, jeder ist einzigartig und das ist auch gut so. Ich denke, dass Lena in dieser Hinsicht innerhalb des Romans so auch einen Weg zur eigenen ‚Heilung’ erlernen kann und das auch ihre Mitmenschen begreifen, ihren eigenen Horizont zu erweitern, anstatt einfach ohne Kenntnis zu urteilen. Dass sie lernt, auch mal den Mund aufzumachen.

„Bei der kann man draufdreschen, wie man will, die rührt sich nicht.“ (Random Quote / Seite 158).

Aber an dieser Stelle möchte ich nicht allzu viel verraten. Nur so viel: Manchmal helfen schicksalhafte und unverhoffte Begegnungen dabei. Begegnungen in Form eines Klassentreffens oder eines Drogeriebesuchs vielleicht. Ebenso wie Erinnerungen an bessere Zeiten und die (wenigen) Menschen, die es wirklich immer gut mit einem meinten und einem in einer noch so traurigen Lage ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Hier sei nur Lenas Opa erwähnt. Seid gespannt, ob es Lena so ergehen wird und ob sie ihren Weg in ein unbeschwertes Leben zurückfindet.

Pauline hat hier einen ganz wunderbaren, ehrlich selbstkritischen und lehrreichen Kurzroman geschaffen, der mit einer sehr saloppen und jungen Sprache überzeugt. Eine ungewöhnliche, aber dem Kontext gegenüber passende Sprache. Man erfährt viel über die Gedanken der Prota und kann sich in sie hineinfühlen. Von wenigen sprachlichen Holpern/ Schwächen und den für meinen Geschmack zu häufig verwendeten „---“ einmal abgesehen, ist es eine wirklich gelungene Geschichte. An manchen Stellen hätte ich mir allerdings ein wenig mehr inhaltlichen Ausbau gewünscht, bzw. das Ende nicht so schnell abgehandelt. Mir fehlt da ein wenig das Gegengewicht. Heißt, über viele Seiten hinweg erfährt man um den Kampf und das angeknackste Selbstbewusstsein, gen Ende hin ist dieses zwar wieder da, bzw. dabei sich aufzubauen, doch hätte ich mir gerade da noch etwas mehr Ausweitung gewünscht. Dies ist nur eine kleine Kritik im Vergleich zu der Botschaft, die das Buch klar vermittelt: Lerne Dich selbst zu lieben und lebe Dein Leben, nicht das eines anderen! Besonders die einzelnen und stets interessanten Kapiteltitel haben mir übrigens gut gefallen. ‚Die Luft da oben‘ ist erfrischend anders, ganz anders als erwartet, und ergründet ein ernstes Thema samt tieferem Sinn in einer humorvollen und selbstkritischen Art, die einfach packt. Als Leser, als Mensch. Ich empfehle es Euch von Herzen.

Eure Jil Aimée